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Physische Ephemeriden der Sonne

Die in diesem Kapitel angegebenen Formeln basieren auf den von R. Carrington (1863) ermittelten und seit vielen Jahren verwendeten Elementen. Für einen bestimmten Zeitpunkt sind die erforderlichen Größen dafür:

$P$ der Positionswinkel des nördlichen Endes der Rotationsachse, gemessen nach Osten vom Nordpunkt der Sonnenscheibe.
$B_0$ die heliographische Breite des Zentrums der Sonnenscheibe.
$L_0$ der heliographische Längengrad des Zentrums der Sonnenscheibe.

Abb. 1: Physische Größen für die Sonne

Obwohl Positionswinkel im Allgemeinen von $0^{\circ}$ bis $360^{\circ}$ gezählt werden (dies ist beim Mond, den Planeten, Doppelsternen usw. der Fall), ist es im Fall der Sonne üblich, $P$ im absoluten Wert unter $90^{\circ}$ zu halten, und um ihm ein Plus- oder Minuszeichen zuzuordnen: $P$ ist positiv, wenn das nördliche Ende der Rotationsachse der Sonne nach Osten geneigt ist, und negativ, wenn es nach Westen geneigt ist. Himmels- und Sonnennord können sich um bis zu $26^{\circ}$ unterscheiden. $P$ erreicht um den 7. April ein Minimum von $-26\overset{\circ}{.}3$, um den 11. Oktober ein Maximum von $+26\overset{\circ}{.}3$ und liegt in der Nähe des 5. Januar und 7. Juli bei $0^{\circ}$.

$B_0$ stellt die Neigung des Nordpols der Sonne in Richtung $(+)$ oder weg $(-)$ von der Erde dar. Sie liegt um den 6. Juni und 7. Dezember bei $0^{\circ}$ und erreicht um den 6. März ($-7\overset{\circ}{.}25$) und den 8. September ($+7\overset{\circ}{.}25$) einen Maximalwert.

$L_0$ vermindert sich um etwa $13\overset{\circ}{.}2$ pro Tag. Die mittlere synodische Periode beträgt $27\overset{d}{.}2752$ Tage. Der Beginn jeder „synodischen Rotation“ ist der Zeitpunkt, an dem $L_0 = 0^{\circ}$ durchläuft. Die Sonnenrotation Nr. 1 begann am 9. November 1853.

Berechnung

Es ist $JD$ der julianische Ephemeridentag, der wie in diesem Kapitel beschriebenen Methode berechnet werden kann. Wenn der gegebene Zeitpunkt in Weltzeit $UT$ gegeben ist, addiert man zu $JD$ den in Tagen ausgedrückten Wert $\Delta T = TD — UT$ (siehe hier). Wenn $\Delta T$ in Sekunden ausgedrückt wird, beträgt die Korrektur zu $JD$

$$JD = JD + \frac{\Delta T}{86400}\tag{1}$$

Nun berechnet man die folgenden Größen: \(\begin{align} \theta &= (JD - 2398220)\cdot \frac{360^{\circ}}{25.38}\\ I &= 7\overset{\circ}{.}25 = 7^{\circ}15'\\ K &= 73\overset{\circ}{.}6667 + 1\overset{\circ}{.}3958333\cdot\frac{(JD - 2396758)}{36525} \end{align}\tag{2}\)

Dabei ist $I$ die Neigung des Sonnenäquators gegen die Ekliptik und $K$ die Länge des aufsteigenden Knotens des Sonnenäquators auf der Ekliptik. In der Formel für $\theta$ ist $25\overset{d}{.}38$ Tage die siderische Rotationsperiode der Sonne. Dieser Wert wurde von Carrington als fix festgelegt. Er definiert den Nullmeridian der heliographischen Länge der Sonne und muss daher als exakt betrachtet werden. Streng genommen variiert der Winkel $I$ langsam im Laufe der Zeit, da sich die Ebene der Ekliptik langsam dreht (derzeit um etwa $47''$ pro Jahrhundert), während die Rotationsachse der Sonne im Raum fixiert sein soll. Es ist jedoch astronomische Praxis, dies als konstant zu betrachten mit dem Wert $I = 7\overset{\circ}{.}25$.

Nun berechnet man die scheinbare Länge $\lambda$ der Sonne (korrigiert um die Auswirkung der Aberration, aber nicht der Nutation) mit der in diesem Kapitel beschriebenen Methode, den Radiusvektor $R$ (Erde-Sonne) sowie die Neigung der Ekliptik $\varepsilon$, korrigiert um die Nutation $\Delta \varepsilon$.
$\lambda'$ ist im Weiteren der um die Nutation $\Delta \lambda$ korrigierte Wert von $\lambda$, also

$$\lambda' = \lambda+ \Delta \lambda$$

Die Berechnung der Nutationswerte $\Delta \lambda$ und $\Delta \varepsilon$ werden hier beschrieben.

Damit erhält man die Hilfswinkel $x$ und $y$ mit

\[\begin{align} \tan x &= -\cos \lambda'\cdot\tan \varepsilon\\ \tan y &= -\cos (\lambda - K)\cdot\tan I \end{align}\tag{3}\]

Sowohl $x$ als auch $y$ sollten in das Intervall [–90°,+90°] gebracht werden.

Damit erhält man dann die gewünschten Größen

\[\begin{align} P &= x + y\\\\ \sin B_0 &= -\sin (\lambda - K)\cdot\sin I\\\\ \tan\eta &= \frac{-\sin (\lambda - K)\cdot\cos I}{-\cos (\lambda - K)}\\ &= \tan (\lambda - K)\cdot\cos I \end{align}\tag{4}\]

Der Winkel $\eta$ befindet sich im selben Quadranten wie $\lambda - K \pm 180^{\circ}$

Schließlich ergibt sich $L_0$ mit

$$L_0 = \eta - \theta\tag{5}$$

und wird mit der Reduktions-Funktion in das Intervall [0°-360°] gebracht.

Beispiel

 Man berechne die physischen Ephemeriden $P, B_{0}, L_{0}$ der Sonne für den 21.5.2023, 10:15 MESZ.


Die mitteleuropäische Sommerzeit muss in Weltzeit $UT$ gebracht werden, es gilt

$UT = MESZ - 2^{h} = \textrm{10:15} - 2^{h} = \textrm{08:15}$

Die relavanten Daten für die Sonne wurden für denselben Zeitpunkt bereits in diesem Beispiel berechnet:

Julianischer Ephemeridentag $JDE = 2460085.844548611$ (mit $\Delta T = 69^{s}$)
Julianische Jahrhunderte $T = 0.233835579702$
Wahre Länge der Sonne $\odot= 60\overset{\circ}{.}05144$
Radiusvektor $R = 1.012023642\;\textsf{AU}$

Die Korrekturen für die Nutation für denselben Zeitpunkt wurden hier berechnet. Die Daten von Meeus lauteten:

$\Delta\lambda = −10\overset{''}{.}218$
$\Delta\varepsilon = +7\overset{''}{.}359$

Damit erhält man für $\theta, I, K$ sukzessive

\(\begin{align} \theta &= (2460085.844548611 - 2398220)\cdot \frac{360^{\circ}}{25.38}\\ &= 877529\overset{\circ}{.}7099093755\\ &= 209\overset{\circ}{.}709909\\\\ I &= 7\overset{\circ}{.}25\\\\ K &= 73\overset{\circ}{.}6667\\ &+ 1\overset{\circ}{.}3958333\cdot\frac{(2460085.844548611 - 2396758)}{36525}\\ &= 76\overset{\circ}{.}086826 \end{align}\)

Die Aberrationkonstante ist näherungsweise gegeben mit

\(\begin{align} k_1 &= -\frac{20\overset{''}{.}4898}{R}\\ &= -\frac{20\overset{''}{.}4898}{1.012023642}\\ &= -20\overset{''}{.}2464 \end{align}\)

Nun ermittelt man die mittlere Ekliptikschiefe $\varepsilon_{0}$ des Datums mit

\(\begin{align} \varepsilon_0 &= \big(84381\overset{''}{.}448\\ &- 46\overset{''}{.}8150\cdot T\\ &- 0\overset{''}{.}00059\cdot T^2\\ &+ 0\overset{''}{.}001813\cdot T^3\big)/3600\\ &= 23\overset{\circ}{.}436250 \end{align}\)

Die wahre Ekliptikschiefe des Datums lautet nun

\(\begin{align} \varepsilon &= \varepsilon_0 + \frac{\Delta \varepsilon}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 23\overset{\circ}{.}436250 + \frac{+7\overset{''}{.}359}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 23\overset{\circ}{.}438291 \end{align}\)

Die wahre Länge der Sonne wird nur um die Aberration korrigiert und man erhält die scheinbare Länge mit

\(\begin{align} \lambda &= \odot + \frac{k_1}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 60\overset{\circ}{.}05144 + \frac{-20\overset{''}{.}2464}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 60\overset{\circ}{.}045816 \end{align}\)

Weiters ist der um Nutation in Länge korrigierte Wert

\(\begin{align} \lambda' &= \lambda + \frac{\Delta\lambda}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 60\overset{\circ}{.}045816 + \frac{−10\overset{''}{.}218}{3600\tfrac{''}{\circ}}\\ &= 60\overset{\circ}{.}042927 \end{align}\)

Die Hilfswinkel $x$ und $y$ ergeben sich zu

\(\begin{align} \tan x &= -\cos \lambda'\cdot\tan \varepsilon\\ &=-0.21648480656340563\\ \tan y &= -\cos (\lambda - K)\cdot\tan I\\ &=-0.1222628035088284\\ x &= -12\overset{\circ}{.}215170\\ y &= -6\overset{\circ}{.}970548 \end{align}\)

Damit ist der Positionswinkel der Rotationsachse

\(\begin{align} P &= x + y\\ &= -12\overset{\circ}{.}215170 + (-6\overset{\circ}{.}970548)\\ &= -19\overset{\circ}{.}186 \end{align}\)

Der Positionswinkel ist negativ, daher ist die Rotationsachse der Sonne nach Westen („rechts“) geneigt.

Die Kippung der Rotationsachse zur Erde (bzw. von ihr weg) ist

\(\begin{align} B_{0} &= \arcsin [-\sin (\lambda - K)\cdot\sin I]\\ &= \arcsin \big[-\sin (60\overset{\circ}{.}045816\\ &- 73\overset{\circ}{.}6667)\cdot\sin (7\overset{\circ}{.}25)\big]\\ &= -1\overset{\circ}{.}998 \end{align}\)

Die heliographische Breite ist negativ, daher ist der Sonnennordpol von der Erde weg gewandt.

Schließlich ergibt sich die heliografische Länge des Sonnenmeridians mithilfe des Winkels $\eta$. Um im korrekten Quadranten zu bleiben, berechnet man Zähler und Nenner separat und wendet dann die alternative arctan2-Funktion an:

\(\begin{align} Z &= -\sin (\lambda - K)\cdot\cos I\\ & = -\sin (60\overset{\circ}{.}045816 - 73\overset{\circ}{.}6667)\cdot\cos (7\overset{\circ}{.}25)\\ & = 0.2741160820016055\\ N &= -\cos (\lambda - K)\\ &= -\cos (60\overset{\circ}{.}045816 - 73\overset{\circ}{.}6667)\\ &= -0.9610641598184141\\ \eta &= \textrm{arctan2}(Z, N)\\ &= 164\overset{\circ}{.}080715 \end{align}\)

Damit ist die heliografische Länge des Sonnenmeridians

\(\begin{align} L_{0} &= \eta - \theta\\ &= 164\overset{\circ}{.}080715 - 209\overset{\circ}{.}709909\\ &= -45\overset{\circ}{.}629\\ &= 314\overset{\circ}{.}371 \end{align}\)

Der Winkel $L_0$ wurde mithilfe der Reduktions-Funktion in das Intervall [0°-360°] gebracht.
Für den gegebenen Zeitpunkt gibt die Astronomiesoftware GUIDE folgende Werte an:

Beispiel GUIDE
$P = −19\overset{\circ}.186$ $P = −19\overset{\circ}.18$
$B_0 = −1\overset{\circ}.998$ $B_0 = −1\overset{\circ}.9947$
$L_0 = 314\overset{\circ}.371$ $L_0 = 314\overset{\circ}.3$

Sonnenrotation nach Carrington

Die Sonne rotiert im Schnitt alle $27.28$ Tage einmal um ihre Achse. Die Sonne ist ein „Gaskugel“ und rotiert daher nicht wie ein starrer Körper, sondern differentiell. Das bedeutet, Schichten, die näher am Sonnenäquator liegen, rotieren schneller als Schichten, die nahe den Sonnenpolen liegen. Dies wurde im 19. Jahrhundert von R.C. Carrington untersucht. Er führte den „Carrington-Nullmeridian“ der Sonne ein und begann seine Zählung der Sonnenrotationen am 9. November 1853 mit der Rotation $C = 1$.

Eine solare „synodische Rotation“ $C$ beginnt , wenn die Größe $L_0 = 0^{\circ}$ ist. Diese Zählung der Sonnenrotationen wurde seither beibehalten. Ein ungefährer Zeitpunkt für den Beginn von Carringtons synodischer Rotation $C$ ist

$$JDE = 2398140.2270 + 27.2752316\cdot C\tag{6}$$

wobei $C$ natürlich eine ganze Zahl sein muss. Der so ermittelte mittlere Zeitpunkt weicht höchstens um $0.16$ Tage vom genauen Wert ab. Die aus der obigen Formel ermittelte Zeit kann jedoch wie folgt korrigiert werden. Man berechne den Winkel $M$ (in Grad) aus

$$M = 281\overset{\circ}{.}96 + 26\overset{\circ}{.}882476\cdot C\tag{7}$$

Damit beträgt die Korrektur in Tagen

\[\begin{align} \Delta JDE =& +0.1454\cdot \sin(M)\\ &- 0.0085\cdot \sin(2\cdot M)\\ &- 0.0141\cdot \cos(2\cdot M) \end{align}\tag{8}\]

Zwischen den Jahren 1850 und 2100 hat der daraus ermittelte Wert einen Fehler von weniger als $0.002$ Tagen ($\approx 3^{m}$). Natürlich kann ein exakter Wert für den Zeitpunkt des Beginns einer synodischen Rotation erhalten werden, indem man $L_0$ für zwei Zeitpunkte in der Nähe des durch die obige Formel angegebenen Zeitpunkts berechnet und dann eine inverse Interpolation durchgeführt wird, um herauszufinden, wann $L_0 = 0$ ist.

Beispiel

 Man ermittle den Beginn der letzten Sonnenrotation für den 21.5.2023 um 10:15 MESZ und gebe die aktuelle Zahl $C$ an.


Für den gegebenen Zeitpunkt wurde der julianische Tag bereits in diesem Beispiel berechnet zu $JD = 2460085.84375$. Dies ist berechnet für den Zeitpunkt in Weltzeit $UT$. Der Wert von $\Delta T$ betrug im Jahre 2023 $\Delta T = 69^{s}$, in dynamischer Zeit ist das also der Zeitpunkt

\(\begin{align} JDE &= JD + \frac{69^{s}}{86400\tfrac{s}{d}}\\ &= 2460085.844548611 \end{align}\)

Damit erhält man die Anzahl der Rotationen $C$ durch Umstellung der obigen Gleichung und mithlife der trunc-Funktion

\(\begin{align} C &= \textrm{trunc}\left( \frac{JDE - 2398140.2270}{27.2752316} \right)\\ &= 2271 \end{align}\)

Der mittlere Wert für den Beginn der 2271sten Sonnenrotation ergibt sich damit zu

\(\begin{align} JDE &= 2398140.2270 + 27.2752316\cdot 2271\\ &= 2460082.2779636 \end{align}\)

Die Korrektur in Tagen erhält man über

\(\begin{align} M &= 281\overset{\circ}{.}96 + 26\overset{\circ}{.}882476\cdot 2271\\ &= 61332\overset{\circ}{.}062996\\ &= 132\overset{\circ}{.}063 \end{align}\)

und damit

\(\begin{align} \Delta JDE =& +0.1454\cdot \sin(132.063)\\ &- 0.0085\cdot \sin(2\cdot 132.063)\\ &- 0.0141\cdot \cos(2\cdot 132.063)\\ &= 0.117845 \end{align}\)

Damit begann die 2271ste Sonnenrotation zum Zeitpunkt

\(\begin{align} JDE &= 2460082.2779636 + 0.117845\\ &= 2460082.3958082 \end{align}\)

Die Sonnenrotation Nr. 2271 begann daher vor

\(\begin{align} &2460085.844548611 - 2460082.3958082\\ &= 3\overset{d}{.}45 \end{align}\)

Tagen.

Eine Umrechnung des julianischen Tages in ein Kalenderdatum ergibt dann den 17.5.2023, 21:29:58 $TD$. Die Rückrechnung mit $\Delta T = 69^{s} = 1^{m}09^{s}$ liefert den Zeitpunkt 17.5.2023, 21:30:48 $UT$.

Bei der Angabe des Beginns einer Sonnenrotation wird der Zeitpunkt nicht in Stunden und Minuten des entsprechenden Tages angegeben, sondern für gewöhnlich in dezimalen Tagen mit zwei Nachkommastellen. Für dieses Beispiel ergibt sich damit der Beginn der 2271sten Sonnenrotation im $\textrm{Mai}\;2023\;17\overset{d}{.}90$

sonne_physische_ephemeriden.txt · Zuletzt geändert: 2024/05/10 16:34 von quern