Für die Berechnung einer Ephemeride eines Kleinplaneten oder eines Kometen werden die rechtwinkeligen, geozentrischen äquatorialen Koordinaten $X, Y, Z$ der Sonne benötigt. Der Ursprung dieser Koordinaten ist der Mittelpunkt der Erde. Die $X$-Achse ist auf die Frühlings-Tagundnachtgleiche ($\lambda = 0^{\circ}$) gerichtet; Die $Y$-Achse liegt ebenfalls in der Äquatorebene und ist auf den Längengrad $90^{\circ}$ ausgerichtet, während die $Z$-Achse auf den Himmelsnordpol gerichtet ist.
Die Werte von $X, Y, Z$ werden für jeden Tag um $0^{h} TD$ in den großen astronomischen Almanachen angegeben. Sie werden in astronomischen Einheiten $AE$ ausgedrückt. Im Allgemeinen beziehen sie sich nicht auf den mittleren Äquator und das mittlere Äquinoktium des Datums, sondern auf ein Standard-Äquinoktium, beispielsweise jenes von $J2000.0$.
Man berechnet zunächst die geometrischen Koordinaten der Sonne, jedoch ohne die Korrekturen für Nutation und Aberration. Wenn $\odot$ und $\beta$ der geometrische Längen- und Breitengrad der Sonne und $R$ ihr Radiusvektor in astronomischen Einheiten sind, dann sind die erforderlichen rechtwinkligen Koordinaten der Sonne, bezogen auf den mittleren Äquator und das Äquinoktium des Datums, gegeben durch
\[\begin{align} X &= R\cdot\cos(\beta)\cdot\cos(\odot)\\ Y &= R\cdot\big(\cos(\beta)\cdot\sin(\odot)\cdot\cos(\varepsilon)-\sin(\beta)\cdot\sin(\varepsilon)\big)\\ Z &= R\cdot\big(\cos(\beta)\cdot\sin(\odot)\cdot\sin(\varepsilon)+\sin(\beta)\cdot\cos(\varepsilon)\big) \end{align}\tag{1}\]
Da der Breitengrad der Sonne, bezogen auf die Ekliptik des Datums, niemals $1\overset{''}{.}2$ Bogensekunden überschreitet, kann man in den Formeln oft $\cos \beta \approx 1$ und $\sin \beta \approx 0$ einsetzen und erhält vereinfacht:
\[\begin{align} X &= R\cdot\cos(\odot)\\ Y &= R\cdot\sin(\odot)\cdot\cos(\varepsilon)\\ Z &= R\cdot\sin(\odot)\cdot\sin(\varepsilon) \end{align}\tag{2}\]
Die (mittlere) Ekliptikschiefe $\varepsilon_0$ ist eine Veränderliche in julianischen Jahrhunderten $T$, wobei
$$T = \frac{(JDE - 2451545.0)}{36525}\tag{3}$$
ist und damit
\[\begin{align} \varepsilon_0 &= 23\overset{\circ}{.}439291111\\ &- \big(46\overset{''}{.}8150\cdot T\\ &- 0\overset{''}{.}00059\cdot T^2\\ &+ 0\overset{''}{.}001813\cdot T^3\big)/3600\tfrac{''}{\circ} \end{align}\tag{4}\]
oder mit dem ersten Term in Bogensekunden \[\begin{align} \varepsilon_0 &= \big(84381\overset{''}{.}448\\ &- 46\overset{''}{.}8150\cdot T\\ &- 0\overset{''}{.}00059\cdot T^2\\ &+ 0\overset{''}{.}001813\cdot T^3\big)/3600\tfrac{''}{\circ} \end{align}\tag{5}\]
Man berechne die rechtwinkeligen geozentrischen äquatorialen Koordinaten der Sonne für den 21.5.2023 um 10:15 $MESZ$
Für den gegebenen Zeitpunkt wurden die folgenden Werte bereits in diesem Beispiel ermittelt:
$JD = 2460085.84375$
$\Delta T = 69^{s}$
$JDE = 2460085.844548611$
$T = 0.233835579702$
$\odot = 60\overset{\circ}{.}05144$
$R = 1.012023642 \textsf{ AE}$
Weil in diesem Beispiel die Breite $\beta_{\odot}$ der Sonne $0$ gesetzt wurde (schneller Algorithmus), kann man die verkürzte Version der Gleichungen für $X,Y,Z$ nehmen.
Die Ekliptikschiefe zum Äquinoktium des Datums beträgt mittels $T$
\(\begin{align} \varepsilon_{0} &= \big(84381\overset{''}{.}448\\ &- 46\overset{''}{.}8150\cdot T\\ &- 0\overset{''}{.}00059\cdot T^2\\ &+ 0\overset{''}{.}001813\cdot T^3\big)/3600\tfrac{''}{\circ}\\ &= 23\overset{\circ}{.}436250 \end{align}\)
Damit sind die gesuchten rechtwinkeligen Sonnenkoordinaten
\(\begin{align} X &= R\cdot \cos \odot = 0.5052248\textsf{ AE}\\ Y &= R\cdot \sin \odot \cdot \cos \varepsilon = 0.8045513\textsf{ AE}\\ Z &= R\cdot \sin \odot \cdot \sin \varepsilon = 0.3487650\textsf{ AE} \end{align}\)