Die Sternzeit in Greenwich wird für gewöhnlich mit \( \Theta_0 \) bezeichnet (großes griechisches 'Theta'). Der Index 0 soll darauf hindeuten, dass die Sternzeit für den Nullmeridian gemeint ist. Hingegen ist \( \theta_0 \) (kleines theta!) die Sternzeit in Greenwich für einen beliebigen Zeitpunkt UT, nicht notwenigerweise 00:00 UT.
Die Sternzeit am Nullmeridian in Greenwich
Die Sternzeit am Meridian von Greenwich um 00:00 UT eines bestimmten Datums kann wie folgt ermittelt werden.
Man berechnet zunächst die Julianische Tagzahl \( JD \), die diesem Datum entspricht, für 00:00 UT. Wie das geht, zeigt der Unterabschnitt JD berechnen. Dies ist immer eine Zahl, die auf 0.5 endet.
Damit findet man dann den Wert \( T \) mit
\[\tag{1} \large T = \frac {\left( JD - 2451545.0 \right) }{36525} \]
\( T \) ist der Bruchteil der julianischen Jahrhunderte, die seit dem Zeitpunkt 1. Januar 2000 12:00 UT vergangen sind. \( T \) ist negativ, wenn das zu berechnende Datum vor dem 1.1.2000 12:00 UT liegt, und positiv für spätere Daten.
Die mittlere Sternzeit in Greenwich um 00:00 UT ist dann durch den folgenden Ausdruck gegeben, der 1982 von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) angenommen wurde:
\[ \begin{align} \tag{2} \Theta_0 &= 6^{h}41^{m}50.54841^{s} \\ \notag &+ 8640184.812866 \cdot T \\ \notag &+ 0.093104 \cdot T^2 \\ \notag &- 0.0000062 \cdot T^3 \end{align} \]
Der erste Term ist die mittlere Sternzeit in Greenwich am 1.1.2000 um 12:00 UT, das ist Julianische Tagzahl \( JD = 2451545.0 \). Wie man in der Formel (2)
erkennt, ist der erste Term in Stunden gegeben, die drei anderen aber in Sekunden. Man kann zur leichteren Berechnung den ersten Term in Sekunden umrechnen: \( 6^{h}41^{m}50.54841^{s} = 24110.54841^{s} \). Damit sind alle Terme in Sekunden gegeben, man muss am Ende durch 3600 dividieren, um wieder Dezimalstunden zu erhalten.
Dieselbe Gleichung kann auch in Grad samt Dezimalstellen ausgedrückt werden:
\[ \begin{align} \tag{3} \Theta_0 &= 100\overset{^\circ}{.}46061837 \\ \notag &+ 36000.770053608 \cdot T \\ \notag &- 0.000387933 \cdot T^2 \\ \notag &- \frac{T^3}{38710000} \end{align} \]
Um nun die Sternzeit in Greenwich für einen beliebigen Zeitpunkt UT eines bestimmten Datums zu erhalten, multipliziert man diesen Zeitpunkt mit dem Wert \( 1.00273790935 \) und addiert das Ergebnis zur Sternzeit \( \Theta_0 \).
\[\tag{4} \theta_0 = \Theta_0 + 1.00273790935 \cdot UT \]
Der Wert der Uhrzeit in UT muss dabei natürlich in Dezimalstunden angegeben werden. Falls sich ein Überlauf ergibt, wird der Wert in das Intervall [0-24h] gebracht. Z.B. wären \( 32^{h}34^{m}57.1^{s} - 24^{h} = 8^{h}34^{m}57.1^{s} \).
Weitere Möglichkeit der Berechnung
Die mittlere Sternzeit in Greenwich, ausgedrückt in Grad, kann auch direkt für jede beliebige Uhrzeit wie folgt ermittelt werden. Man ermittelt zunächst die Julianische Tagzahl \( JD \), die diesem Zeitpunkt in UT entspricht (nicht notwendigerweise 00:00 UT!), und berechnet dann
\[ \begin{align} \tag{5} \theta_0 &= 280.46061837 \\ \notag &+ 360.98564736629 \cdot (JD - 2451545.0) \\ \notag &+ 0.000387933 \cdot T^2 \\ \notag &- \frac{T^3}{38710000} \end{align} \]
wobei \( T \) wieder aus Gleichung (1)
ermittelt wurde. Mit dieser Beziehung erhält man direkt die mittlere Sternzeit in Greenwich (in Grad) zu einem beliebigen Zeitpunkt in UT. Es ist keine Addition mehr erforderlich.
Die Ortssternzeit
Damit ist die mittlere Sternzeit an einem beliebigen anderen Ort als Greenwich gemeint. Befindet man sich an einem Ort mit der geografischen Länge \( \lambda \), dann erhält man dessen Ortssternzeit durch die Berechnung
\[\tag{6a} \theta = \theta_0 + \frac{\lambda}{15} \quad bzw.\] \[\tag{6b} \theta = \theta_0 + \lambda \]
Dabei werden östliche geografische Längen \( \lambda \) positiv gezählt und westliche negativ. Formel 6a
gilt bei Verwendung der Sternzeit in Stunden, Formel 6b
bei Verwendung von Grad.
Die scheinbare Sternzeit
Die Sternzeit, die durch die Formeln (4)
oder (5)
berechnet wird, ist die mittlere Sternzeit, d.h. der Greenwich-Stundenwinkel des mittleren Frühlingspunkts (= der Schnittpunkt der Ekliptik des Datums mit dem mittleren Äquator des Datums). Die scheinbare Sternzeit oder der Greenwich-Stundenwinkel des wahren Frühlingspunkts wird durch Addition der folgenden Korrektur erhalten:
\[\tag{7} \Delta\psi \cdot \cos \varepsilon \]
Dabei ist \( \Delta\psi \) die Nutation in Länge, und \( \varepsilon \) die wahre Ekliptikschiefe. Diese Korrektur wird manchmal als Nutation in Rektaszension oder auch Äquinoktialgleichung bezeichnet. Weil \( \Delta\psi \) eine sehr kleine Größe ist, kann der Wert von \( \varepsilon \) auf 10" gerundet werden, was für praktische Zwecke oft ausreichend ist.
Wenn \( \Delta\psi \) in Bogensekunden (") ausgedrückt wird, dann ist die Korrektur zur mittleren Sternzeit in Sekunden der Wert
\[\tag{8} \frac{\Delta\psi \cdot \cos \varepsilon}{15} \]
Eine gute Näherung zur Berechnung der Nutation in Länge sei hier durch folgende Beziehung angegeben. Es sind \( \Omega \), \( L \) und \( L' \) die Winkel (in Grad)
\( \begin{align}
\notag \Omega &= 125\overset{\circ}{.}04452 \\
\notag & - 1934.136261 \cdot T \\
\notag &+ 0.0020708 \cdot T^2 \\
\notag &+ \frac{T^3}{450000}
\end{align} \)
\( L = 280\overset{\circ}{.}4665 + 36000.7698 \cdot T \)
\( L' = 218\overset{\circ}{.}3165 + 481267.8813 \cdot T \),
dann ergibt sich für \( \Delta\psi \)
\[ \begin{align} \tag{9} \Delta\psi =& -17.20 \cdot \sin \Omega \\ \notag &- 1.32 \cdot \sin(2L) \\ \notag &- 0.23 \cdot sin(2L') \\ \notag &+ 0.21 \cdot \sin(2\Omega) \end{align} \]
\( \Delta\psi \) wird dabei in Bogensekunden (") erhalten. Allerdings sei hier darauf hingewiesen, das der Wert von \( T \) nicht aus der Weltzeit UT ermittelt werden muss, sondern aus der dynamischen Zeit TD, die zum heutigen Zeitpunkt (April 2023) ca. um \( \Delta T = 70 \) Sekunden von der Weltzeit abweicht, es gilt \( TD = UT + \Delta T \). Die Julianische Tagzahl muss also hier für TD ermittelt werden und daraus dann der Wert für \( T \) aus Formel (1)
, um die oben genannten Winkel \( \Omega, L, L' \) zu ermitteln.
Der maximale Wert für die Korrektur \( \Delta\psi \) liegt ca. in der Größenordnung von ±7". Die Abweichung der mittleren Sternzeit von der scheinbaren Sternzeit ist dann ca. bei ±1 Sekunde, was für viele astronomische Berechnungen nicht wesentlich ist. Man begnügt sich quasi mit der mittleren Sternzeit und Schwamm drüber 😄.
Die Ermittlung der Julianischen Tagzahl \( JD \) ist für viele astronomische Berechnungen essentiell. In der Fachliteratur liest man oft den Begriff Julianisches Datum, das hat sich leider so eingebürgert. Ein julianisches Datum ist ein Datum im Julianischen Kalender, also vor dem 4.10.1582. Ein gregorianisches Datum ist ein Datum im Gregorianischen Kalender, also nach dem 15.10.1582.
Im folgenden sind alle Divisionen mittels der Funktion int(...)
Ganzzahl-Divisionen ohne Rest! Programmierer können hier auch mit Math.floor(...)
(JavaScript) rechnen oder entsprechend der jeweiligen Programmiersprache eine ähnliche Funktion nehmen.
Die Julianische Tagzahl sollte mindestens mit 5 Nachkommastellen angegeben werden, denn 0.00001 Tage sind 0.864 Sekunden. Weiters ist im Zeitraum vom 1.3.1900 bis zum 28.2. 2100 der Wert von \( B \) immer \( B = -13 \) und muss nicht berechnet werden.
Beipiel 1
Julianische Tagzahl am 15.4.2023 um 22:15 mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ)
Beipiel 2
Julianische Tagzahl am 4.7.1054 um 18:24 MEZ (Supernova von 1054)
Beipiel 3
Julianische Tagzahl am 27.1.333 um 15:00 UT
Beipiel 4
Sternzeit am 15.4.2023 um 22:15 mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) für Graz mit \( \lambda = 15.42^{\circ} \) Ost.
Aus Beispeil 1 kennen wir bereits die Julianische Tagzahl mit \( JD = 2460050.34375 \). Dabei wurde bereits die Umrechnung von MESZ auf UT berücksichtigt. Mit Gleichung (2)
oder (3)
könnte man nun die Sternzeit in Greenwich für 00:00 UT berechnen, dafür müsste man aber auch die \( JD \) für 00:00 UT berechnen.
Stattdessen erhält man mit Gleichung (5)
die Sternzeit direkt für die gegebene \( JD \).
\(\begin{align} \notag T &= \frac {\left( JD - 2451545.0 \right) }{36525} \\ \notag &= \frac {\left( 2460050.34375 - 2451545.0 \right) }{36525} \\ \notag &= 0.23286362081 \end{align} \)
Die Sternzeit in Greenwich um 20:15 UT (= 22:15 MESZ) ist dann
\(\begin{align} \notag \theta_0 &= 280.46061837 \\ \notag &+ 360.98564736629 \cdot (2460050.34375 - 2451545.0) \\ \notag &+ 0.000387933 \cdot T^2 \\ \notag &- \frac{T^3}{38710000} = 3070587.480306^{\circ} \end{align} \)
Dies ist der Wert in Grad, den man jetzt in das Intervall [0-360°] bringt, indem man das geeignete Vielfache von 360° abzieht.
\( int \left( \frac{3070587.480306}{360} \right) = 8529 \)
\( 3070587.480306 - 8529\cdot 360 = 147.480306^{\circ} \)
Zu dieser Sternzeit für Greenwich wird nun noch die geografische Länge von Graz addiert. Da dies eine östliche Länge ist, bleibt das Vorzeichen bei \( + \).
\( 147.480306^{\circ} + 15.42^{\circ} = 162.900306^{\circ} \)
Umrechnen in Stunden durch Division durch 15 ergibt
\( \frac{162.900306}{15} = 10.860020^{h} \)
Die Umrechnung in Stunden/Minuten/Sekunden liefert
\( 10^{h} \) und
\( 0.86002^{h}\cdot 60\frac{m}{h} = 51.6012^{m} \)
\( 0.6012^{m}\cdot 60\frac{s}{m} = 36.072^{s} \)
Die mittlere Ortssternzeit für Graz lautet daher
\( \theta = 10^{h}51^{m}36.1^{s} \)
Der Frühlingspunkt ist also in Graz vor \( 10^{h}51^{m}36.1^{s} \) durch den Ortsmeridian gewandert.